Quantcast
Channel: Programmstörer » Eurovision Song Contest
Viewing all articles
Browse latest Browse all 2

Schalten! Sie! Jetzt! Bloß! Nicht! Ab!

$
0
0

Es gab eine Zeit im deutschen Fernsehen, als Spielfilme noch Abspänne hatten. Nicht bloß ein paar an den Bildschirmrand geflatschte Alibinamengürtel im Senderdesign. Sondern richtige, echte Abspänne mit weißer Schrift auf schwarzem Grund, von unten nach oben laufend.

Irgendwann haben die Sender gemerkt, dass diese paar Minuten für viele Zuschauer ein hervorragender Grund waren, um mal zu schauen, was bei der Konkurrenz so läuft. Also wurden die Abspänne abgeschnitten. Weil es für Fernsehmacher kaum etwas Schrecklicheres gibt als Zuschauer, die nicht den ganzen Abend stur ein- und dasselbe Programm sehen.

Um das Zapprisiko weiter minimieren zu können, hat sich das Fernsehen im Laufe der Jahre weitere Maßnahmen ausgedacht und arbeitet hartnäckig daran, die Grenzen zwischen den einzelnen Sendungen möglichst intensiv zu verwischen.

Seit vergangener Woche wiederholt RTL seine Erfolgsserie "Doctor's Diary", und als Diana Amft in ihrer Rolle als Gretchen Haase am Ende der zweiten Folge mit ihrem heimlichen Schwarm, dem von Florian David Fitz gespielten Arztwiderling Marc Maier, in einer unerwarteten Minute der Versöhnung auf einer Party tanzte, beeilte sich RTL, fünf Sekunden vor Schluss, noch schnell die 14 wichtigsten Verantwortlichen und die Produktionsfirma im Bildrandgürtel einzublenden, um möglichst schnell mit dem "Großen Doctor's Diary-Special" weitermachen zu können.

Als sich am Pfingstsonntag Claudia Effenberg, Verena Kerth, Ivonne Schönherr und Jenny Elvers im "Perfekten Promi-Dinner" zu Ende angezickt hatten, beendete Vox die Sendung mit einer Vorschau auf das darauffolgende Magazin "Prominent" (bei voxnow.de ansehen), dessen Redakteure mit Jenny Elvers über die Dreharbeiten vom "Perfekten Promi-Dinner" gesprochen hatten. (Bei RTL beherrscht "Extra" die Taktik, zu Beginn der eigenen Sendung noch mal den Inhalt der davor gezeigten Dokusoap nachzuerzählen, um zwei eigene Interviewschnipsel dazwischen zu schneiden, schon seit Jahren perfekt.)

Das Erste schaltete 2013 sogar direkt aus der "Tagesschau" in den darauffolgenden Vorentscheid zum Eurovision Song Contest "Unser Song für Malmö" zu Moderatorin Anke Engelke (siehe Foto) und verzichtete dafür auf ihre Schlussfanfare.

tagesschauesc

Screenshot: Das Erste

Das alles passiert im Dienste des so genannten "Audience Flows", einem Strom, der die Zuschauer von einer Sendung zur nächsten tragen soll. Bloß dass der "Flow" dem Publikum inzwischen entgegenbrüllt: Schalten! Sie! Jetzt! Bloß! Nicht! Ab!

Denn all die zuvor genannten Maßnahmen scheinen bislang nicht zu reichen. In seinem Verbrauchermagazin "Markt" geht der NDR deshalb einen Schritt weiter. Zwischen zwei Beiträgen kündigte Moderator Jo Hiller in der vergangenen Woche an:

"Gleich geht es auch um Ärger, nämlich mit Mietwagen. Nach unserem kurzen Programmhinweis."

Darauf folgte: ein kurzer Programmhinweis, in Form eines Trailers zum später am Abend laufenden "Kulturjournal", wie er sonst üblicherweise zwischen zwei Sendungen gezeigt wird. Zurück bei "Markt" meinte Moderator Hiller schließlich nach dem Mietwagen-Filmchen:

"Tja. Ärger mit Mietwagen. Das gibt's ja häufig auch im Urlaub. Meine Kollegin Susann Kowatsch war für den 'Großen Urlaubs-Check' auf Kreta. Und, da auch Probleme mit dem Mietwagen gehabt?"

"Nee", antwortete Kowatsch.

Und Hiller: "Ah."

Worauf Kowatsch meinte: "Gar keine Probleme mit dem Auto. Auch mal was Neues."

Dann unterhielten sich die beiden einfach über Wichtigeres, nämlich den "Großen Urlaubs-Check" auf Kreta: Kowatsch erzählte, die größte Überraschung beim Dreh sei für sie gewesen, "dass Kreta eine wunderschöne Insel ist". Hiller fragte: "Hört sich fast nach Traumurlaub an. Oder gab's auch böse Überraschungen?" Kowatsch meinte: "Wie das so ist: Auch bei uns gab's 'n paar böse Überraschungen." Im Hintergrund wurde leise ein Instrumental des Udo-Jürgens-Titels "Griechischer Wein" eingespielt. Hiller und Kowatsch stießen mit Raki an. Hiller meinte: "Ich bin sehr gespannt auf den Film"...

...und eine Sekunde später hatte bereits "Der Große Urlaubs-Check" auf Kreta begonnen, ohne dass "Markt" in irgendeiner Form sichtbar zu Ende gegangen wäre oder der Moderator sich den Umstand gemacht hätte, sein Publikum zu verabschieden.

Der NDR muss sich wirklich sehr, sehr, sehr gewünscht haben, keinen Zuschauer zu verlieren. (In der Mediathek ist das Gespräch mit Kowatsch in "Markt" am Ende einfach weggeschnitten worden.)

Und aus Sicht des Senders mag das ja auch nachvollziehbar sein. Wenn die Angst vor dem drohenden Umschalten aber inzwischen dazu führt, dass das Fernsehen mitten in einer laufenden Sendung panisch damit anfängt, sein Publikum in die nachfolgenden Programme zu drängeln, und dafür bereitwillig Zeit für Eigenwerbung nutzt, die doch eigentlich redaktionellen Inhalten gehören sollte – dann wäre es aus Gründen der Programmhygiene eventuell wünschenswert, wenn sich diese Taktik nicht großflächig durchsetzen würde.

Aus ökologischer Sicht schon eher. Weil die Fernsehzeitschriften künftig einen ganzen Haufen Papier sparen würdem, wenn sie demnächst einfach eine radikal reduzierte Sendungsübersicht in ihre Spalten drucken:

0-24 Uhr: Fließendes Programm


Viewing all articles
Browse latest Browse all 2

Latest Images

Trending Articles